Unter lautem Getöse bläst der Wind die schwere Eisentüre hinter uns zu. Zaghaft öffnen japanische Touristen sie nochmals, um von uns noch ein paar Fotos zu schiessen, verschwinden dann aber sofort und gerne wieder an die Wärme. Hinter uns liegt die Hochburg des Schweizer Tourismus - das Jungfraujoch mit Eispalast, Sphinx und Restaurants. Hunderte aus allen Erdteilen sind an diesem Donnerstagmorgen mit dem Zug auf das touristische Dach Europas gefahren. Doch viel mehr als eine grosse Nebelwand sehen sie hier auf 3454 Metern über Meer nicht.

Es ist still. Nur der Wind pfeift unaufhörlich um die Ohren und bläst einem Schnee ins Gesicht. Am Seil gesichert und fachmännisch geführt von den beiden Bergführern Martin Vogel und Marcel «Stei» Steurer  sowie den beiden Aspiranten Michel Alessandri und Patrick Hediger setzen wir erste Schritte auf den Aletschgletscher. Mit 21 Kilometern ist dies der längste Gletscher der Alpen.

Vom ewigen Eis ist vorerst aber nicht viel zu sehen. Schnee stampfen wie im tiefsten Winter ist angesagt. Unterwegs zur Konkordiahütte, einer Unterkunft des Schweizer Alpen-Club (SAC), läst sich der Nebel allmählich und wir erahnen die mächtige Grösse des Gletschers. Dass seine Länge und vor allem auch seine Höhe aber stark schwinden, wird uns am Fusse der Konkordiahütte bewusst. 1877, zur Zeit des neuzeitlichen Höchststandes der europäischen Gletscher, lag die erste Konkordiahütte gerade mal 50 Höhenmeter über dem Aletschgletscher. In der Zwischenzeit ist das Eis um 100 Höhenmeter geschmolzen. Der Hüttenzustieg erfolgt über eine Stahltreppe mit momentan 443 Stufen. Fast jedes Jahr werden es mehr.

Die 40 Leserinnen und Leser des Anzeigers vom Rottal, des Entlebucher Anzeigers und der Sempacher Woche werden auf der Konkordiahütte nicht nur vom Hüttenwart willkommen geheissen, auch die Sonne findet abends ihren Weg zu uns.

Statt wärmende Sonnenstrahlen weckt uns am Freitagmorgen jedoch ein an die Fenster peitschender Regensturm. Bis wir uns auf den Weg zur Grünhornlücke begeben, hellt sich der Himmel jedoch bereits wieder auf. Schritt für Schritt stapfen wir über den verschneiten Grüneggfirn. Der Rückenwind hilft, die 440 Höhenmeter relativ mühelos zu bewältigen.

Während der Mittagsrast zeigt sich direkt vor uns plötzlich der grosse Riese in einem eindrücklichen Wechselspiel von Sonne, Wolken und Licht. Mit einer Höhe von 4274 Metern überragt das Finsteraarhorn sämtliche Berner Gipfel. Am Fusse dieses markanten Massivs erwartet uns der Wirt der modernen Finsteraarhornhütte.

So spektakulär das Spiel zwischen Wolken und Sonne am Freitag war, so eintönig zeigt sich wettermässig der Samstag. Am stahlblauen Himmel sucht man an diesem Tag vergebens weisse Flecken. Und auf einer Höhe um die 2800 Meter über Meer vermag sich der Schnee nicht gegen die warmen Sonnenstrahlen zu wehren. Uns öffnet sich eine wunderschöne Gletscherlandschaft, auf der wir am Seil gesichert vorbei an Spalten, geheimnisvollen Gletschertischen, riesigen Eisblöcken und kleinen Bächen entlangwandern. Lediglich der eigene Atem und das Knirschen der Steigeisen durchbrechen die grosse Stille. Schritt für Schritt nähern wir uns am Nachmittag der Oberaarjochhütte, sehr spektakulär in den Felsen gebaut.

Was die Zukunft dieser heimeligen Hütte bringen wird, ist jedoch höchst ungewiss. Denn mit der Klimaerwärmung taut der Permafrost auf. Die Folge davon sind Felsstürze und eine Instabilität des Berges. Welch grosser Verlust die Oberaarjochhütte wäre, wird uns allen auf der Sonnenterrasse bewusst. Im Osten reicht der Blick am Reinwaldhorn vorbei bis zur Berninagruppe, im Süden thront - eingebettet zwischen Weisshorn und Dom - der Berg aller Schweizer Berge in den Horizont. Von kaum einer anderen Stelle ist das Matterhorn so freistehend zu sehen - als würden sich die umliegenden Viertausender ehrfürchtig vor ihm verneigen.

Während die einen die grandiose Aussicht von der Terrasse geniessen, erreicht eine Zwölfergruppe gemeinsam mit den vier Führern in leichter Kletterei und später über ein grosses Schneefeld das Oberaarhorn (3631 m.ü.M.). Dieses bietet uns einen phantastischen Ausblick auf unzählige Vier- und Dreitausender.

Im zarten goldgelben Morgenlicht verabschieden wir uns am Sonntag um 6 Uhr von der Hütte. Via Oberaargletscher erreichen wir nach zwei Stunden den gleichnamigen Stausee und gegen Mittag unser Ziel - den Grimselpass. Hinter uns liegen mehr als 30 Kilometer Gletschertrecking. Starke Eindrücke, die allen die Augen für die phantastische Bergwelt des Unesco-Weltnaturerbe-Gebietes geöffnet - aber auch die Sinne für unser empfindliches Ökosystem geschärft haben. Allen voran für eines unserer schwächsten Glieder davon: die Gletscher.